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3. Forschungsprojekte

Es wird an dieser Stelle nur über die wichtigsten, derzeit laufenden Projekte berichtet. Informationen über abgeschlossene Teilprojekte sind in den Abschnitten 4.1 und 4.2 in Form von Literaturzitaten angegeben. Die Beiträge dieses Kapitels sind nicht zitierfähig.

 

3.1 Phasen-Umwandlungen und Verformung von Mineralen des Erdmantels: Untersuchung der dynamischen Vorgänge im Erdmantel

Die Umwandlungen von Mineralen des Oberen Erdmantels (Olivin, Pyroxen) zu dichteren Modifikationen, sind für die seismischen Diskontinuitäten verantwortlich, welche die Übergangszone zwischen Oberem und Unterem Erdmantel (in 410 - 660 km Tiefe) markieren. Diese Phasenübergänge steuern die dynamischen Prozesse, da die Änderungen der Kristallstruktur zu einer zum Teil drastischen Änderung der physikalischen Eigenschaften führt. Unter den Bedingungen einer normalen Mantel-Geotherme wandelt sich Olivin ((Mg,Fe)2SiO4) in 410 km Tiefe in das Mineral Wadsleyit (ß-Phase) um, aus dem sich seinerseits wieder, in 550 km Tiefe, Ringwoodit mit Spinellstruktur (γ-Phase) bildet. An der Grenzfläche des Unteren Mantels mit der Übergangszone (in 660 km Tiefe) zerfällt Ringwoodit in eine Mischung aus Magnesiowüstit und ein Mineral mit Perowskit-Struktur. Auf ähnliche Weise transformiert Enstatit ((Mg,Fe)SiO3) zuerst zu einem Hochdruck-Klinoenstatit und später zu einem Granat um, der aus der Übergangszone als Majorit bekannt ist. Unter Bedingungen mit niedrigerer Temperatur, die in Subduktionszonen vorherrschen, wird ein Übergang der Hochdruckform des Enstatits mit zunehmender Tiefe nach Wadsleyit + Stishovit, Ringwoodit + Stishovit und später in die Ilmenit-Struktur erwartet. Je nach den Mechanismen dieser Übergänge werden verschiedene Mikrostrukturen entstehen, die wiederum die physikalischen Eigenschaften und die Anisotropie im Erdmantel ganz erheblich beeinflussen können. Aus diesem Grunde kombinieren wir experimentelle Hochdrucktechnik mit mikro-struktureller Bestimmung, um die Kinetik und die Mechanismen dieser Phasentransformationen im Erdmantel zu untersuchen.

Phasenumwandlungen sind besonders für dynamische Prozesse bei der Subduktion von Bedeutung. Hier treten große laterale Temperaturgradienten in den abtauchenden Platten aus relativ kalter ozeanischer Kruste auf. Die niedrigen Temperaturen in den abtauchenden Schollen beeinflussen die Phasentransformationen möglicherweise zweifach: Während unter Gleichgewichtsbedingungen die Transformation von Olivin zu Wadsleyit oberhalb von 410 km Tiefe erfolgen müßte, ist bei den tiefen Temperaturen im Inneren der abtauchenden Platten der Ablauf von Reaktionen kinetisch gehemmt. Dies führt dazu, daß Olivin und Pyroxen als metastabile Phasen sogar bis in Tiefen von 700 km erhalten bleiben können. Andererseits beeinflußt die Tiefenlage der Phasenumwandlungen die Dichte der Platten und damit die Auftriebskräfte, die auf sie einwirken. Die Erhaltung metastabilen Pyroxens und Olivins bis in große Tiefen wird auch dazu verwendet, den Ursprung von Tief-Erdbeben im Bereich von Subduktionszonen zu erklären. In dem "transformational faulting"-Modell zu Tief-Erdbeben werden Verwerfungen in großer Tiefe in den subduzierten Platten durch die Umwandlung von metastabilem Olivin zu Spinell verursacht. Um die Hypothese von metastabilem Peridotit in Subduktionszonen zu testen, werden die Kinetik und die Mechanismen der Olivin- und Pyroxenumwandlungen unter hohem Druck untersucht.

Die Rheologie und die Viskosität des Mantels sind abhängig von der Festigkeit der Hochdruck-Phasen und der Verteilung dieser Phasen im Erdmantel sowie den Mikrostrukturen, die aus diesen Phasenumwandlungen entstehen. Durch die Entwicklung der Hochdruck-Verformungstechniken in der Multianvil-Presse sind wir in der Lage, Minerale des Erdmantels, einschließlich der Hochdruck-Modifikationen, unter Druck- und Temperaturbedingungen des Oberen Mantels und der Übergangszone zu verformen. Es werden sowohl die relative Festigkeit der Minerale als auch die Einflüsse der Phasenübergänge auf die Rheologie untersucht. Die mikrostrukturelle Bestimmung der unter hohem Druck verformten Proben erfolgt mit dem Transmissionselektronenmikroskop. Dadurch werden Aussagen zu wahrscheinlichen Deformationsmechanismen und zu Spannungseinflüssen auf die Phasentransformationen möglich.

 

3.2 Geochemie unter extremen Drücken und Temperaturen

Eines der bedeutenden geochemischen Ereignisse in der 4,5 Mrd. Jahre alten Geschichte der Erde war die Bildung des eisenreichen metallischen Erdkerns. Eisenreiches, flüssiges Metall trennte sich mechanisch von den Silikaten und Oxiden, die nun den Erdmantel aufbauen. Es ist wahrscheinlich, daß sich die Metallphase während der Abscheidung im chemischen Gleichgewicht mit den silikatischen Phasen befand. Das bedeutet, daß die jetzige Geochemie des Erdmantels, die aus Mantelxenolithen (Fragmente, die durch vulkanische Eruptionen sehr schnell an die Erdoberfläche transportiert wurden) bestimmt werden kann, die Bildung des Erdkerns widerspiegelt. Die Metallsegregation mag während eines Magmenozean-Stadiums stattgefunden haben, als nach einer postulierten interstellaren Kollision zwischen der Erde und einem Mars-großen Körper ein bedeutender Teil der Erde aufgeschmolzen wurde. Alternativ mag sich flüssiges Metall aus überwiegend kristallinen Silikaten und Oxiden abgeschieden haben. Daher sind Untersuchungen zur Elementverteilung zwischen schmelzflüssigem Metall, Silikatschmelzen und kristallinen Silikaten wesentlich für das Verständnis der Bildung des Erdkerns. Frühe Untersuchungen zur Elementverteilung, die unter atmosphärischen Drücken durchgeführt wurden, führten zu der Annahme, daß siderophile Elemente (die Elemente, die sich in den entmischten metallischen Phasen anreichern) bei der Bildung des Erdkerns zum großen Teil aus dem Erdmantel entfernt sein sollten. Im Gegensatz zu dieser Voraussage ist jedoch die beobachtete Konzentration dieser Elemente im Mantel zu hoch. Diese "Anomalie aus siderophilen Elementen" wurde mit Modellen heterogener Akkretion erklärt, nach denen die heutige Zusammensetzung des Mantels im wesentlichen durch eine jüngere dünne Lage bestimmt wird, die nach der Erdkernbildung auf die Erdoberfläche aufgebracht wurde. Eine alternative Erklärung könnte sein, daß sich die Elementfraktionierung unter hohen Drücken und/oder hohen Temperaturen ändert und daß die Geochemie des heutigen Mantels tatsächlich durch Gleichgewichtsbedingungen bei der Metallextraktion erklärt werden kann. Daher werden die Verteilungsmuster verschiedener Elemente bei Drücken bis 25 GPa (entspricht einer Tiefe von 750 km) und Temperaturen bis 2500 K mit Multianvil-Apparaturen untersucht. Auch die Einflüsse der Sauerstoffugazität und der chemischen Zusammensetzung der silikatischen Schmelze auf die Elementverteilung werden bei hohen und bei atmosphärischen Drücken durch Studien der Elementlöslichkeiten systematisch bestimmt. Die Bedingungen, unter denen metallische und sulfidische Schmelzen sich von kristallinen und aufgeschmolzenen Silikaten abscheiden können, werden durch Texturuntersuchungen an partiell geschmolzenen Proben erarbeitet.

Kenntnisse über die Sauerstoffugazität im Erdmantel sind auch von Bedeutung, weil diese Größe die Transporteigenschaften (d.h. die Rheologie, Diffusion, elektrische Leitfähigkeit und Reaktionsabläufe) steuert. Die Sauerstoffugazität des Erdmantels wird auf der Basis der relativen Häufigkeit von Fe2+ und Fe3+ in Mineralen untersucht, die als Einschlüsse in Diamanten zur Erdoberfläche transportiert wurden. Diese Studien werden parallel zu Untersuchungen des Fe2+/Fe3+-Verhältnisses in Hochdruckphasen durchgeführt, die unter bekannten Bedingungen im Labor synthetisch hergestellt wurden.

Phasengleichgewichte von wasserhaltigen Mineralen werden bei hohen Drücken untersucht, um den Transport von Elementen in Subduktionszonen hinein und ihr "Recycling" im Erdmantel zu studieren. Außerdem ist es wichtig zu wissen, bis in welche Tiefen H20 in subduzierter Lithosphäre transportiert werden kann. Die Untersuchungen dienen dem Verständnis der Geochemie des Vulkanismus an Subduktionszonen und des Auftretens von mitteltiefen Erdbeben, deren Ursache in der Freisetzung von Fluiden durch Dehydrationsprozesse liegen dürfte.

 

3.3 Kristallchemie und Struktur

Die Eigenschaften der Erde insgesamt werden in hohem Maß durch die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Mineralkomponenten bestimmt, die ihrerseits stark durch die Kristallstruktur und Eigenschaften im atomaren Maßstab kontrolliert werden. Untersuchungen zur Kristallchemie und -struktur der irdischen Materie stellen daher weiterhin ein zentrales Element der Forschungsarbeiten am Bayerischen Geoinstitut dar. Die meisten der in diesem Kapitel beschriebenen Arbeiten behandeln die Synthese von Proben unter kontrollierten Bedingungen, die dann mit einem weit gefächerten Spektrum von Analysenmethoden untersucht und charakterisiert werden. Durch die Verwendung synthetischen Probenmaterials ergeben sich Informationen über Strukturen und Eigenschaften des Materials als Funktion von im Experiment festgelegten Variablen (Temperatur, Druck und/oder Zusammensetzung). Komplexe Einflüsse, die durch Verunreinigungen, Strukturdefekte oder eine unbekannte Vorgeschichte natürlicher Proben vorhanden sein können, werden ausgeschlossen. Da andererseits die chemische Zusammensetzung dieser Proben derjenigen der natürlichen Materie sehr nahe kommt, lassen sich aus den Ergebnissen direkt die Eigenschaften und Prozesse in der Erde verstehen.

Eines der wichtigsten Werkzeuge bei diesen Untersuchungen ist die Röntgenbeugungsmethode, mit deren Hilfe die Lageparameter der einzelnen Atome in der Struktur des Materials bestimmt werden. Andere verwendete Methoden sind verschiedene Arten der Spektroskopie, die zusätzliche Informationen über spezifische Atome liefern. Zur Abrundung der experimentellen Arbeiten beziehen einige Projekte theoretisches Modellieren ein, um eine vollständigere Beschreibung und ein besseres Verständnis der untersuchten Systeme zu erlangen.

 

3.4 Phasenübergänge und -umwandlungen

Während die Eigenschaften der Erde von der Struktur, den Eigenschaften und der Kinzentration der vorhandenen Minerale abhängen, treten plötzliche Wechsel der Gesteinseigenschaften oftmals als Resultat von Phasenumwandlungen in entweder neue Strukturen oder in gänzlich anderen Mineralparagenesen auf. Die groß-maßstäblichsten Beispiele dieser Umwandlungen sind die weltumspannenden seismischen Diskontinuitäten in Erdtiefen von 410 und 660 km. Diese Diskontinuitäten werden auf Umwandlungen des Hauptmineralbestandes des Erdmantels zurückgeführt (s. Kap. 3.1). Phasenumwandlungen bei deutlich niedrigeren Temperaturen und Drücken werden in der Petrologie in kleinerem Maßstab eingesetzt, um die Temperatur- und Druckbedingungen festzuhalten, denen die Gesteine seit ihrer Bildung und nachfolgender Metamorphose ausgesetzt waren. Weiterhin führen Phasenübergänge mit Änderung der Detail-Struktur innerhalb einer Mineralphase unter Beibehaltung der Grundstruktur zu deutlichen Veränderungen der physikalischen Eigenschaften.

Es sind sehr komplexe Prozesse, die von den Auswirkungen der Phasenübergänge bei 410 und 660 km auf die Fließmuster im Erdmantel bis zu den Druck-Temperatur-Pfaden der Gesteine in der Erdkruste reichen. Um sie zu verstehen, ist es nicht nur notwendig, die Eigenschaften der Minerale, sondern auch die Veränderungen dieser Eigenschaften zu verstehen, welche die Phasenumwandlungen und -übergänge begleiten. Die folgenden Beiträge zeigen einen breiten Querschnitt durch die Arbeiten des Jahres 1995 auf diesem Sektor. Sie zeigen die Notwendigkeit auf, ein weites Spektrum experimenteller Techniken zum Verständnis der Phasenübergänge und -umwandlungen einzusetzen. Die angewandten Methoden reichen von der Spektroskopie und Röntgendiffraktometrie an Mineralen unter hohen in-situ-Druckbedingungen bis zur gründlichen texturellen und mikrostrukturellen Untersuchung von Proben aus natürlichen Systemen und synthetischem Material aus Laborexperimenten. Nur so läßt sich ein besseres Verständnis über die Phasenübergänge gewinnen, denen Minerale unter den Drücken und Temperaturen des Erdinneren ausgesetzt sind.

 

3.5 Zeitskalen irdischer und planetarischer Prozesse: Randbedingungen aus dem natürlichen Material

Irdische und außerirdische Materie wird im Verlauf dynamischer Prozesse auf der Erde und in unserem Sonnensystem unterschiedlichen physikalischen und chemischen Bedingungen ausgesetzt. Zum besseren Verständnis derartiger Prozesse wenden wir experimentelle Ergebnisse und thermodynamische Gleichgewichtsbeziehungen an, um Aufschluß über die Bedingungen zu erhalten, unter denen natürliche Materie gebildet wurde. Der dynamische Charakter geologischer Prozesse sowie die niedrigen Transportgeschwindigkeiten von Materie und Energie in Gesteinen führen dazu, daß Proben natürlichen Ursprungs ein chemisches oder strukturelles Gleichgewicht oft nicht erreicht haben. Eigenschaften wie Zusammensetzungs- und Isotopiegradienten, der Grad kristallographischer Ordnung, Korngrößen und Defektstellenverteilung können daher zur Erforschung von Zeitskalen geologischer Prozesse herangezogen werden. Hierfür sind Kenntnisse über die Zeit- und Temperaturabhängigkeit von kinetischen Prozessen wie Diffusion, Einstellung kristallographischer Ordnung, Kornwachstum und Fehlstellen-Ausheilung notwendig.

Durch den Vergleich von Mikrostrukturen in synthetischen Materialien mit denen in natürlichen Proben lassen sich qualitative Aussagen über Zeitskalen ableiten. Andererseits können wir mathematische Modelle und experimentell bestimmte Geschwindig-keitskonstanten auf kinetische Prozesse anwenden, um die Zeitskalen der sich ändernden Bedingungen quantitativ herauszuarbeiten und so ein Maß für die beobachtete chemische Verteilung von Elementen oder zur Mikrostruktur herauszuarbeiten.

Die Prozesse, deren Einflüsse auf natürliche Proben in Zeiträumen von Millionen von Jahren bis Mikrosekunden wirksam sind, können dadurch untersucht werden, daß man die kinetische Theorie und Geschwindigkeitskonstanten verwendet. Im ersteren Fall metamorphe Vorgänge und Zeiträume zur Interpretation tektonischer Prozesse und ihrer geologischen Geschichte bestimmt. Der letztere Fall ist anzuwenden auf die Schock-metamorphose, die uns ein besseres Verständnis der Impact-Ereignisse durch planetarische Körper erlangen läßt.

 

3.6. Fluide und ihre Wechselwirkung mit silikatischen Schmelzen und Mineralen

Obwohl H20- und CO2-reiche Fluide nur in kleinsten Mengen innerhalb der Erdkruste und des Erdmantels auftreten, spielen sie eine bedeutende Rolle bei Transportprozessen, für die Magmenentwicklung und für die Kinetik geochemischer Prozesse. Anders als kristalline Phasen können überkritische Lösungen nicht ohne größere Veränderungen ihrer Struktur und Speziation aus hohen Druck- und Temperaturbereichen abgeschreckt werden. Daher können Untersuchungen zu Fluideigenschaften und zu Wechselwirkungen zwischen Fluiden und anderen Geomaterialien nur durch in-situ-Messungen unter hohen Drücken und Temperaturen durchgeführt werden. Die laufenden fluidrelevanten Forschungsarbeiten im Geoinstitut konzentrieren sich auf folgende Themenkomplexe:

Fluideinschlüsse: Fluideinschlüsse bilden sich bei der Kristallisation natürlicher Minerale in Anwesenheit eines freien Fluides. Die Analyse natürlicher Fluideinschlüsse stellt daher wahrscheinlich die wichtigste Methode dar, um Einblicke in die Art der Fluide zu gewinnen, die im Verlauf geologischer Prozesse präsent waren. Die Interpretation von Fluideinschluß-Daten ist nicht immer einfach, da sich die Zusammensetzung der Einschlüsse über geologische Zeiträume durch Reäquilibrierung verändern kann. Weiterhin erlauben die zur Zeit angewandten Untersuchungsmethoden noch keinen vollständigen Zugang zu allen Informationen, die in Fluideinschlüssen gespeichert sind.

Wasserlöslichkeiten und -speziation in silikatischen Schmelzen: In silikatischen Schmelzen finden sich häufig einige Gew.-% Wasser in gelöster Form, die als molekulares Wasser und als OH-Gruppen vorliegen. Die Bildung von OH-Gruppen führt zur Depolymerisation der Schmelzstruktur und setzt folglich die Viskosität in der Schmelzphase deutlich herab sowie die Diffusivität herauf. Daher spielt das Gleichgewicht zwischen den OH-Gruppen und molekularem H2O eine bedeutende Rolle für das Verständnis der physikalischen und auch der chemischen Eigenschaften wasserführender Magmen. Der Gesamtanteil an in silikatischer Schmelze gelöstem Wasser bestimmt im wesentlichen die Solidus-Temperatur eines Gesteins und beeinflußt damit stark den in der Erdkruste und im Erdmantel vorhandenen Anteil an Schmelze.

Wasserlöslichkeiten in nominell wasserfreien Mineralen: Der Erdmantel ist im wesentlichen aus nominell wasserfreien Mineralen aufgebaut, die keine Hydroxylgruppen in ihrer chemischen Formel enthalten. Dennoch können all diese Minerale nennenswerte Anteile an OH-Defektstellen aufweisen, die einen größeren Einfluß auf Eigenschaften wie z.B. elektrische Leitfähigkeiten und mechanische Festigkeiten zeigen. Weiterhin sind die Anteile an Wasser, die in gelöster Form in nominell wasserfreien Mineralen vorliegen können, vergleichbar mit bzw. größer als der durchschnittliche Wassergehalt im oberen Erdmantel. Aus diesem Grund steuert die Wasserlöslichkeit in diesen Mineralen ganz erheblich die Stabilität einer freien Fluidphase im Erdinneren.

 

3.7 Physikalische und chemische Eigenschaften von Schmelzen

Eine angemessene Beschreibung der physikalischen Phänomene magmatischer Prozesse erfordert allgemein gültige Daten der physikalischen Eigenschaften aller beteiligten Phasen. Silikatische Schmelze ist die Hauptphase in diesem Prozeß. Daher spielen ihre physikalischen Eigenschaften eine beherrschende Rolle für die Entwicklung verläßlicher Modelle zur magmatischen Evolution und ihrer Konsequenzen für die Erde. In den vergangenen Jahren sind das Interesse und die Aktivitäten auf verschiedenen Gebieten der Physik silikatischer Schmelzen verstärkt worden. Das schließt die Entwicklung von PVT-Zustandsgleichungen für komplex zusammengesetzte Schmelzen, Modelle zur Abhängigkeit von Temperatur und chemischer Zusammensetzung von der Schmelzviskosität sowie die Systematik von Schmelzkompressibilitäten ein.

Derartige Studien definieren die petrogenetischen Pfade, denen die magmatischen und vulkanischen Systeme der Erde und anderer erdnaher Planeten bei gegebenen intensiven und kinetischen Parametern unterliegen.

Nirgendwo sind die Auswirkungen selbst geringer Variationen der physikalischen und chemischen Eigenschaften von Schmelzen auf Phänomene der aktiven Erde augenscheinlicher als im Falle des explosiven, kieselsäurereichen Vulkanismus. Hier führen die kombinierten kausalen Abhängigkeiten, die Wechselwirkungen und Rückkoppelungen zwischen Schmelzzusammensetzung (z.B. SiO2-, H2O-Gehalt) und Schmelzeigenschaften (z.B. Viskosität, Oberflächenspannung, Dichte) mit petrogenetischen Prozessen (z.B. Fließbewegungen in vulkanischen Schloten, Entgasungskinetik,Gesteinszertrümmerung, Explosivität von Ausbrüchen) zu radikalen Änderungen im Ausbruchsverhalten des intermediären bis SiO2-reichen Vulkanismus. Dieser Vulkanismus wiederum treibt den Materietransport zwischen der magmatischen Komponente der Lithosphäre und der Atmosphäre/Hydrosphäre auf der Erde an. Der stark nicht-lineare Einfluß von Wasser auf die Eigenschaften SiO2-reicher Schmelze ist ein zentrales Forschungsthema der modernen Vulkanologie. Das Verständnis der strukturellen und dynamischen Ursachen für die Veränderungen dieser Eigenschaften ist von höchster Bedeutung.

In den letzten Jahren ist besonders klar geworden, wie weit der Druck- und Temperaturbereich ist, in dem magmatische Vorgänge auf der Erde und anderen erdnahen Planeten ablaufen. Daher ist das Interesse an den physikalischen und chemischen Eigenschaften von Schmelzen unter diesen Bedingungen gewachsen. Die für natürliche Aufschmelzungsvorgänge und Schmelzfraktionierungsprozesse relevanten Eigenschaften silikatischer Schmelzen im höchsten Druck- und niedrigsten Temperaturbereich sind bisher nicht ausreichend erforscht. Daher werden zur Zeit Untersuchungen zur Druck- und Temperaturabhängigkeit der Eigenschaften silikatischer Schmelzen durchgeführt, mit dem Ziel, allgemeine Zusammenhänge für Schmelzeigenschaften wie Dichte und Viskosität zu erkennen. Hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung von Schmelzen ist eine hinreichend große Datenbasis erforderlich, die eine verläßliche Interpolation auf erwartete natürliche Schmelzzusammensetzungen erlaubt. Wegen der mit dem irdischen Magmatismus verbundenen extremen Druck- und Temperaturbereiche können die Schmelzen exotische chemische Zusammensetzungen aufweisen, was zum Teil durch Ungleichgewichtszustände bei der Aufschmelzung oder durch kinetische Hemmnisse der Gleichgewichtsfraktionierung gefördert wird. Aus diesen Gründen ist eine umfassende und systematische Lösung des Problems erforderlich.

Die thermodynamische Beschreibung silikatischer Schmelzen ist eine der letzten großen offenen Unbekannten für die Modellierung von Gleichgewichten zwischen Schmelzen und Kristallen. Die Aktivitäten von Komponenten in den Schmelzen können nicht einfach vorhergesagt werden. Tatsache ist, daß bisher kein allgemeingültiges, in letzter Konsequenz schlüssiges Lösungsmodell für Schmelzen vorliegt. Ein vielversprechender Ansatz ist die Untersuchung der Elementverteilung zwischen festen und flüssigen Phasen in Systemen, in denen die Aktivitäts-Zusammensetzungsbeziehung der festen Phasen genau bekannt ist. Hier lassen sich über die Löslichkeit bzw. Elementverteilung mit der Schmelze auch die Aktivitäts-Zusammensetzungsbeziehungen für einfache und komplexe Schmelzsysteme aufstellen.

 

3.8 Struktur und Dynamik silikatischer Schmelzen

Eigenschaften von Schmelzen werden vor allem durch ihre Struktur und deren Dynamik bestimmt. Die Untersuchung derartiger Struktur/Eigenschafts-Beziehungen konzentrieren sich in erster Linie auf einfachere Schmelzsysteme, weniger auf komplexere, natürliche Systeme. Diese Arbeiten haben unser Verständnis zur Struktur und zur Dynamik von Schmelzen soweit verbessert, daß damit begonnen werden kann, atomistische Modelle zur Beschreibung des komplexen Verhaltens von Magmen zu entwickeln. Die folgenden Kurzbeschreibungen stellen einen Querschnitt der Arbeiten zu dieser Themenstellung dar.

Unter dynamischen Gesichtspunkten können Zeitskalen von Differenzierungsprozessen wie Magmenvermischung, Assimilation und Kristallfraktionierung aus der Kenntnis von Atom-Mobilitäten in den Schmelzen definiert werden. Viskositätsuntersuchungen liefern Informationen zu Prozessen, die im Erdinneren ablaufen, wie die Abspaltung von Teilschmelzen von einem Stamm-Magma und Magmentransport in der Unterkruste und im Erdmantel. Die Viskosität von Schmelzen ist eine wichtige Kenngröße für das Verständnis von Bildung und Differentiation eines postulierten Magmenozeans in der frühen Erdgeschichte. Auch an der Erdoberfläche spielt Viskosität eine bedeutende Rolle für das Verständnis vulkanischer Vorgänge, von explosiven Ausbrüchen des plinianischen Typs bis hin zu schnellfließenden Lavaströmen.

Die Beschreibung der Strukturen silikatischer Schmelze dient als Brücke für das Verständnis rheologischer und thermodynamischer Eigenschaften. Technische Fortschritte, die besonders auf dem Gebiet der Hochtemperatur-/Hochdruck-Spektroskopie erwähnenswert sind, haben unsere Möglichkeiten zur Gewinnung detaillierter Strukturdaten im atomaren Maßstab über einen weiten Bereich experimenteller Bedingungen erheblich verbessert. Strukturelle Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Viskosität/Dichte-Abhängigkeiten, der Löslichkeit und Speziation verschiedener Schmelzkomponenten und können oft Einblicke in Beziehungen Schmelze-Schmelze bzw. Mineral-Schmelze liefern, wozu Elementverteilungen und Nicht-Mischbarkeiten von Schmelzen gehören.

Schmelzstruktur und Schmelzdynamik werden durch den Einfluß flüchtiger Bestandteile (Wasser, Kohlendioxid, Fluor) weiter kompliziert. Wasser, der häufigste flüchtige Bestandteil in natürlichen Systemen, kann Schmelzeigenschaften wie Viskosität, Phasenbeziehungen, Liquidus/Solidus-Temperaturen und Redox-Gleichgewichte (z.B. Fe2+/Fe3+) ganz erheblich beeinflussen. Die Untersuchung wasserhaltiger Schmelzen und Gläser kann auch zu einem vollständigeren Verständnis "trockener" Systeme, sowie zum Verständnis der Mechanismen führen, die den Einbau von Wasser in silikatischen Schmelzen steuern.

 

3.9 Zur Physik von Magmen

Der komplexe vielphasige Charakter natürlicher magmatischer Systeme macht die Untersuchung komplexer Geomaterialien notwendig. Dieses Kapitel befaßt sich daher sowohl mit den Eigenschaften mehrphasiger Geomaterialien als auch mit der Art und der Auswirkung physikalischer Wechselwirkungen zwischen einzelnen Phasen in Magmen im Verlauf von Fraktionierungsprozessen. Diese Prozesse reichen von der Abspaltung von Teilschmelzen aus teilgeschmolzenen Ausgangsgesteinen bis zur Entgasung und Fragmentierung vulkanischer Auswürflinge. Spezielle Forschungsziele sind: Deformationsmechanismen in teilgeschmolzenen Systemen, Konvektionsphänomene in Magmenkammern, die Kinetik der Gleichgewichtseinstellung zwischen Kristall und Schmelze sowie die Entgasung und Fragmentierung hoch-viskoser Schmelzen.

Der experimentelle Beitrag zu diesen Untersuchungen umfaßt zumeist zum einen den Entwurf spezieller Versuchsapparaturen für die Lösung individueller Problemstellungen im Bereich Magmenphysik und zum anderen die sorgfältige mikroskopische und sub-mikroskopische phyikalische und chemische Bestimmung des experimentell verwendeten Geomaterials vor und nach der Durchführung der Experimente. Nur mit derartigen ganzheitlichen experimentellen Methoden können verläßliche Voraussagen zur Magmenphysik getroffen werden.

Die physikalischen Eigenschaften des Magmatismus werden weitgehend durch die stark nicht-linearen Änderungen der Magmeneigenschaften beeinflußt, die bei der physikalischen Mischung fester und flüssiger Phasen auftreten. Am stärksten macht sich dieses Phänomen bei der Beschreibung der Magmendeformation bemerkbar. Die relative Bedeutung und Effizienz von Newtonischem und nicht-Newtonischem Fließen, von bruchhafter und duktiler Verformung hinsichtlich

  • der Segregation von Schmelzen aus ihren Ursprungsregionen,
  • der Phasenfraktionierung im Verlauf der Magmenentwicklung und
der Art der petrogenetischen Produkte in Form plutonischer oder vulkanischer Gesteine und juveniler Fluide aus dieser komplexen magmatischen Entwicklungsgeschichte ist kaum bekannt. Die experimentelle Bestimmung über einen ausreichend großen Bereich von Temperatur, Druck, Deformationsrate, der Probengeochemie und des physikalischen Status wird nicht kurzfristig durchzuführen sein. Derartige Studien müssen die sich stetig verbessernden Kenntnisse über die Physik und Chemie von Schmelzen einbeziehen, wie auch die neueren Kenntnisse über die Abhängigkeiten zwischen Schmelzeigenschaften und den strukturellen und dynamischen Ausgangsgrößen.

 

3.10 Methodische Entwicklungen

Parallel zu konzeptionellen Fortschritten sind es die methodischen Weiterentwicklungen, die den experimentell ausgerichteten Forschungsdisziplinen, wie sie am Bayerischen Geoinstitut bestehen, neue Erkenntnisse ermöglichen. Außerdem dient das Institut als eine zentrale Einrichtung im nationalen und internationalen Bereich, d.h. es hat den Nutzern Zugang zu fortschrittlichen Technologien auf dem gesamten Feld der experimentellen Geochemie und Geophysik zu verschaffen.

Einige der verwendeten Methoden stellen zwar "Standardmethoden" der Materialsynthese und -charakterisierung dar, die nur speziell auf Erfordernisse für die Forschungsarbeiten des Bayerischen Geoinstituts zu modifizieren sind. Viele sind jedoch Neuentwicklungen, die zum Fortschritt in den Experimentiertechniken beitragen. Nur über Letztere wird in diesem Kapitel berichtet.

Quo vadis, Methodik der experimentellen Geochemie und Geophysik? Für folgende Bereiche der experimentellen Geowissenschaften wird eine wachsende Bedeutung erwartet:

  • Steigerung des zugänglichen Druck- und Temperaturbereiches, Verbesserung der Messung von Druck und Temperatur,
  • Vergrößerung des Probenvolumens in hohen Druck- und Temperaturbereichen,
  • die Kontrolle und systematische Erfassung aller einschlägigen, sich auswirkenden Größen zusätzlich zu Druck und Temperatur (z.B. Sauerstoffugazität, Aktivität der beteiligten Komponenten),
  • in-situ Messungen bei hohen Drücken und/oder hohen Temperaturen zur Bestimmung von Materialeigenschaften, die nicht durch "Abschreckung" aus hohen Temperaturbereichen bewahrt werden können (z.B. Elastizität, Kompressibilität, Viskosität, elektrische Leitfähigkeit, Kriechen) und zur Untersuchung nicht abschreckbarer Phasenübergänge,
  • Verbesserung der räumlichen Auflösung und Empfindlichkeit von Methoden der strukturellen und chemischen Bestimmung von Versuchsprodukten, die üblicherweise heterogen, feinkörnig und in nur geringen Mengen vorliegen,
  • Bestimmung von richtungsabhängigen Eigenschaften (wie Diffusivität, Kristallflächenstruktur, Kristallisationsphänomene, Deformationsmechanismen) sowohl im mikroskopischen als auch mesoskopischen Maßstab,
  • Einblicke in dynamische Prozesse unter festem, glas- und schmelzförmigem Zustand (sehr langsame bis schnelle chemische Austauschreaktionen, Spin-Dynamik, Speziation).

Die folgenden Beiträge beschreiben in Kürze Fortschritte in den meisten der angeführten Bereiche. Sie wurden durch aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen ausgelöst und konnten trotz des notorischen Personalmangels im technischen Bereich, jedoch mit dem enthusiastischen Schwung der vorhandenen kleinen Gruppe von Technikern erzielt werden. Viele dieser methodischen Fortschritte sind sehr bemerkenswert oder stellen sogar Durchbrüche dar: Experimente, die bisher undurchführbar erschienen, sind möglich geworden (obwohl immer noch schwierig), früher nur schwer durchzuführende Versuche wurden leichter und liefern Informationen, die für eine verläßliche Extrapolation zum Erdinneren hin entscheidend sind.

Bayerisches Geoinstitut, University of Bayreuth, 95440 Bayreuth, Germany
Tel: +49-(0) 921 55 3700 / 3766, Fax: +49-(0) 921 55 3769, E-mail: bayerisches.geoinstitut(at)uni-bayreuth.de