Es wird an dieser Stelle nur über die wichtigsten, derzeit laufenden Projekte berichtet. Informationen über abgeschlossene Teilprojekte sind in den Abschnitten 4.1 und 4.2 in Form von Literaturzitaten angegeben. Die Beiträge des Kapitels 3 sind nicht zitierfähig.
3.1 Phasenumwandlungen und Deformation von Mineralen des Erdmantels
Während der obere Erdmantel überwiegend aus Olivin, Pyroxenen und Granat besteht, ist die Übergangszone in 410 bis 660 km Tiefe aus Wadsleyit oder Ringwoodit und Granat aufgebaut. Wadsleyit und Ringwoodit sind die Hochdruckmodifiktionen von (Mg,Fe)2SiO4. Der untere Erdmantel besteht aus (Mg,Fe)SiO3-Perowskit und Magnesiowüstit. Die lagenförmige Struktur des Mantels wird durch Hochdruck-Phasenumwandlungen hervorgerufen, die zu sprunghaften Dichtezunahmen bei 410 und 660 km Tiefe führen.
Die Struktur und Zusammensetzung des Mantels läßt sich durch einen Vergleich gemessener seismischer Geschwindigkeiten mit elastischen Eigenschaften von Mineralen genauer bestimmen. Die elastischen Eigenschaften hängen von der Kristallstruktur und der Symmetrie ab; es ist daher wichtig zu wissen, wie sich Symmetrie und Struktur von Mineralen mit steigendem Druck ändern. Im ersten Artikel des Kapitels 3.1 wird gezeigt, daß Granate in der Übergangszone wahrscheinlich eine kubische Symmetrie aufweisen, obwohl abgeschreckte Hochdruck-Granate (je nach Zusammensetzung) auch tetragonal sein können.
Hochdruck-Phasentransformationen haben einen bedeutenden Einfluß auf die Dynamik der Konvektion im Erdmantel, da sie mit großen Dichteänderungen verbunden sind. Wegen der Trägheit von Phasenumwandlungen bei tiefen Temperaturen, z.B. in Subduktionszonen, könnte die spezifisch leichtere Phase metastabil bis in größere Tiefen erhalten bleiben, als aus den Phasengleichgewichten zu erwarten wäre. Olivin könnte zum Beispiel in Subduktionszonen bis in Tiefen von über 600 km konserviert werden, obwohl er unterhalb einer Tiefe von 400 km unter Gleichgewichtsbedingungen in Wadsleyit umgewandelt werden sollte. Die Existenz metastabiler Phasen geringer Dichte im tieferen Erdmantel hätte Konsequenzen für die Auftriebskräfte der Konvektion und für die Spannungszustände in der subduzierten Lithosphäre; sie ist möglicherweise auch die Ursache tiefer Erdbeben..
Zwei weitere Artikel des Kapitels 3.1 beschreiben neue Ergebnisse zu den Mechanismen der Hochdruck-Phasenübergänge von (Mg,Fe)2SiO4, die bedeutende Konsequenzen für die Vorhersage der Umwandlungskinetik im Mantel haben. Bisherige Modelle nahmen an, daß die Keimbildung neuer Phasen lediglich an Korngrenzen auftritt und daß die Wachstumsrate der Produktphase bei gleichbleibendem Druck und Temperatur konstant bleibt. Die hier vorgestellten neuen Untersuchungen legen die Vermutung nahe, daß diese Annahmen unrichtig sind.
Die Rheologie des Erdmantels ist zur Zeit nur mangelhaft verstanden, obwohl rheologische Eigenschaften eine große Bedeutung für Modelle der Mantelkonvektion haben. Die rheologischen Eigenschaften des Olivin, dem am weitesten verbreiteten Mineral im oberen Erdmantel, wurden in der Vergangenheit ausgiebig untersucht. Einige neue Ergebnisse werden unter 3.1 vorgestellt. Wie die Anwesenheit weiterer Minerale (Pyroxene, Granate) die Rheologie des oberen Mantels beeinträchtigt, ist bisher nicht geklärt. Dies ist Thema eines weiteres Berichts. Experimentelle Untersuchungen zur Rheologie der Minerale der Übergangszone und des unteren Mantels stellen eine besondere technische Herausforderung dar. Eine Lösung des Problems liegt in dem Studium analoger (bei niedrigen Drücken stabilen) Materialien, wie in dem Beitrag zur Rheologie von Perowskit beschrieben wird. Weiterhin konnten Fortschritte bei der Entwicklung neuer experimenteller Techniken für rheologische Messungen unter den Drücken der Übergangszone erzielt werden (siehe auch Kapitel 3.8).
3.2 Geochemie unter extremen Drücken und Temperaturen
Die Erde mit ihrer heutigen Zusammensetzung ist das Endprodukt zahlreicher Prozesse seit der Bildung unseres Planeten aus dem Sonnennebel. Material aus dem Erdinneren kann daher Hinweise geben auf so unterschiedliche Prozesse wie Akkretion, Differentiation und Kernbildung, Vulkanismus, Metasomatose und Konvektion. Mit unseren Forschungs-arbeiten wollen wir die Prozesse verstehen, die für die Entwicklung und die heutigen Eigenschaften der Erde verantwortlich sind. Unsere direkten Messungen sind mehr oder weniger auf die Erdoberfläche begrenzt, und unserer Wissen über das Innere der Erde ist in einer gewissen Weise umgekehrt proportional zur Tiefe, solange wir unseren Planeten nur an der Oberfläche beproben können. Eine Ausnahme stellt jedoch der Erdkern dar, dessen chemische Zusammensetzung relativ gut bekannt ist. Er besteht aus einer Eisen-Nickel-Legierung, die möglicherweise besonders im flüssigen äußeren Kern nennenswerte Konzentrationen leichter Elemente enthält. Weitere wesentliche Kenntnisse über den Erdkern, wie z. B. Temperaturprofile, müssen indirekt entweder aus Laborexperimenten oder aus theoretischen Modellen abgeleitet werden. Die Bildung des Erdkerns war eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der Erde. Indirekte Hinweise über den Mechanismus der Kernbildung kann man aus der Spurenelementzusammensetzung des Erdmantels erhalten. Bestimmte "hochsiderophile" Elemente sind im Erdmantel weitaus häufiger, als man es erwarten würde, wenn der Mantel einmal im Gleichgewicht mit einer Eisen-Nickel-Metallschmelze gewesen wäre. Dieses Problem wäre unter Umständen lösbar, wenn die Spurenelementverteilung zwischen Metall und Schmelze sehr stark von Druck, Temperatur oder Zusammensetzung abhängen würde. Die Forschungsarbeiten des Bayerischen Geoinstituts konzentrieren sich mit technisch sehr anspruchsvollen Experimenten unter Einsatz von Multianvil-Pressen auf diese Problematik. Speziell die Sauerstoff-Fugazität stellt hier eine besonders wichtige Variable dar. Gegenwärtige Untersuchungen konzentrieren sich sowohl auf die Messung als auch auf eine Kontrolle dieses Parameters.
3.3 Kristallchemie und Struktur
Eigenschaften und Dynamik der Erde werden weitgehend durch die physikalischen und chemischen Merkmale von Mineralen kontrolliert. Diese sind wiederum bedingt durch die Kristallstruktur. Folglich konzentrieren sich zahlreiche Forschungsvorhaben des Bayerischen Geoinstituts auf die Charakterisierung von Kristallstrukturen und auf die Untersuchung von Phasenübergängen unter hohen Drücken.
Zwei grundlegende experimentelle Philosophien werden verfolgt: nach der ersten Philosophie werden Phasen unter den hohen Drücken und Temperaturen des Erdinneren synthetisiert oder es werden derartige Phasen, die entsprechenden hohen Drücken und Temperaturen ausgesetzt waren, aus natürlichen Proben, wie z.B. Meteoriten gewonnen. Einer der wichtigsten Aspekte dieser Untersuchungen ist die Koordinationszahl der Kationen, insbesondere des Siliziums. In Silikaten der Erdkruste sind die Siliziumatome tetraedrisch von vier Sauerstoffen umgeben. Bei höheren Drücken, die für die Übergangszone und den unteren Erdmantel typisch sind, enthalten die Minerale sechsfach (oktaedrisch) mit Sauerstoff koordiniertes Silizium. Dieser Koordinationswechsel bewirkt im allgemeinen eine dichtere Packung der Atome und führt daher zu einer deutlichen Dichtezunahme. Gerade diese Dichtesprünge, die die Umwandlung von Spinell (mit 4-fach koordiniertem Si) zu Perowskit (6-fach koordiniertes Si) begleiten, sind für die seismische Diskontinuität verantwortlich, die die Grenze zwischen der Übergangszone und dem unteren Erdmantel in einer Tiefe von ca. 670 km markiert. Zur Bestimmung der Koordination von Si und weiteren Kationen im Probenmaterial wird eine Reihe von Techniken angewandt. Diese reichen von Einkristall-Röntgendiffraktometrie-Studien (zur vollständigen Bestimmung der Kristallstruktur) bis zum Einsatz von Methoden wie ELNES (Electron Loss Near Edge Structure), Mössbauer-Spektroskopie und NMR (Nuclear Magnetic Resonance), die die lokale Umgebung spezifischer Atome innerhalb der Kristallstruktur charakterisieren. Im Jahr 1996 führten diese Untersuchungen am Bayerischen Geoinstitut zu einigen aufregenden Entdeckungen. Dazu gehört die erste Bestimmung einer oxidischen Phase, in der Silizium eine 5-fache Koordination aufweist und der erste Nachweis natürlichen MgSiO3 in Ilmenit-Struktur.
Der zweite experimentelle Weg besteht darin, synthetisierte Proben mittels Diamantstempelzellen erneut unter hohen Druck zu bringen und ihre Kristallstrukturen und Eigenschaften in-situ zu bestimmen. Derartige Studien liefern nicht nur die seit langem benötigten Zustandsgleichungen für Minerale des Erdmantels (d.h. die Abhängigkeit der Dichte von der Tiefe). Sie verdeutlichen ebenso interne Strukturwechsel, die die Kompression begleiten. Die Strukturwechsel können sowohl kontinuierlich als auch bei Phasenübergängen (= Änderung der Kristallstruktur, evtl. auch Koordinationswechsel) diskontinuierlich sein. In den drei unter Kap. 3.3 beschriebenen Untersuchungen dieser Art konnten keine Übergänge festgestellt werden. Trotzdem stoßen diese Negativergebnisse auf großes Interesse, da sie die große Stabilität einiger Strukturtypen (z.B. Braunit und Topas) unter hohen Drücken aufzeigen und auch die Subtilität der struktureller Faktoren demonstrieren, die für elektronische Übergänge in Strukturen verantwortlich sind (wie am Beispiel TiS2 aufgezeigt wird). Selbstverständlich muß sehr viel mehr experimentelle und systematische Entwicklungsarbeit zur Kristallchemie von Hochdruckphasen des Erdinneren und zu den physikalischen Eigenschaften geleistet werden. Dann erst kann ein volles Verständnis der Kristallchemie bei hohen Drücken und Temperaturen entwickelt werden, so daß dann auftretende Phänomene nicht mehr in dem Maße wie bisher "überraschend" sind.
3.4 Transporteigenschaften und Kinetik
Zu den Transportprozessen in Mineralen, Gesteinen und Schmelzen gehören Ionendiffusion, Wanderung von Punktdefekten und Ladungstransport (elektrische Leitfähigkeit). Derartige Prozesse steuern die Einstellungsgeschwindigkeit chemischer Gleichgewichte und das rheo-logische Verhalten von Materialien. Messungen der elektrische Leitfähigkeit von Mineralen unter hohen Drücken und Temperaturen erlauben durch Vergleich mit geophysikalischen Daten Rückschlüsse auf die Mineralogie, die Temperatur und möglicherweise den OH-Gehalt im Erdinnern. Eine Quantifizierung von Transportprozessen in einer Vielzahl geologisch relevanter Materialien über einen weiten Druck- Temperatur- und Zusammen-setzungsbereich ist daher notwendig. Da Prozesse in der Erde meist so langsam ablaufen, daß ihre Geschwindigkeiten im Labor nicht direkt meßbar sind, ist man oft auf Extrapolationen experimentell gewonnen Daten zu niedrigeren Temperaturen angewiesen. Für eine verläßliche Extrapolation ist ein genaues Verständnis der Transportmechanismen erforderlich.
Die in dem Abschnitt 3.4 beschriebenen Forschungsarbeiten beschäftigen sich mit der Wasserstoff- und Fe-Mg-Diffusion in Olivin, der elektrischen Leitfähigkeit von Mineral-paragenesen des unteren Erdmantel (Perowskit + Magnesiowüstit), der Multikomponenten-Diffusion in Granitschmelzen sowie der Gleichgewichtseinstellung in Hochdruckgesteinen aus China.
Das Verständnis der Wasserstoff-Diffusion in Mineralen des Mantels ist wichtig, um die Natur von Punktdefekten in diesen Mineralen zu verstehen. Weiterhin kann prinzipiell der OH-Gehalt von Mineralen des oberen Mantels aus Peridotit-Knollen, die bei vulkanischen Eruptionen ausgeworfen wurden, abgeschätzt werden. Da Wasserstoff jedoch sehr schnell diffundiert, ist es unwahrscheinlich, daß der ursprüngliche OH-Gehalt in den Proben beim Transport an die Erdoberfläche bewahrt bleibt. Zur Untersuchung der Fe-Mg-Diffusion dient die Aufnahme sehr kurzer Diffusionsprofile mit Hilfe der Transmissionselektronen-mikroskopie (TEM). Die Profile stammen aus Experimenten, die bei relativ niedrigen Temperaturen durchgeführt wurden, um eine Extrapolation der Daten zu geologisch relevanten Temperaturen auf ein Minimum zu beschränken. Untersuchungen zur Multikomponenten-Diffusion in Granitschmelzen dienen der Modellierung von Eruptions-prozessen; darüber hinaus erlauben sie Rückschlüsse auf die Struktur von Schmelzen. Korrelationen zwischen Diffusivität und Viskosität sind nützlich, da dadurch die Anzahl der nötigen Messungen zur vollständigen Bestimmung von Transporteigenschaften stark reduziert wird. In einem abschließenden Artikel des Kap. 3.4 werden die Schwierigkeiten bei der Bestimmung von Druck-Temperatur-Pfaden von metamorphen Gesteinen bei gebirgsbildenden Ereignissen dargestellt. Die Notwendigkeit eines umfassenden Verständ-nisses von Reaktionstexturen und Diffusionsraten in den beteiligten Mineralen wird herausgestellt.
3.5 Fluide und ihre Wechselwirkung mit silikatischen Schmelzen und Mineralen
Alle Ozeane auf der Erdoberfläche stellen letztlich das Produkt der Entgasung des Erdinneren dar. Über geologische Zeiträume hinweg wurden durch vulkanische Aktivität und durch einige nicht-magmatische Vorgänge Wasser und andere leichtflüchtige Bestandteile an die Erdoberfläche transportiert. Bis vor kurzem glaubte man, daß es sich hierbei im wesentlichen um einen Prozeß handelt, der lediglich in einer Richtung abläuft. Das Wasser, das einmal die Hydrosphäre erreicht hat, würde nie mehr in den Erdmantel zurückgeführt werden. Zwar gibt es ein Recycling von Krustenmaterial in den Erdmantel im Bereich von Subduktionszonen; es erschien aber bis vor kurzem unwahrscheinlich, daß Wasser jenseits des Stabilitätsbereiches von wasserhaltigen Phasen (z.B. Amphibol) wieder in den Erdmantel zurückgeführt werden könnte. Neuere experimentelle Erkenntnisse zeigen jedoch, daß Wasser in subduzierten Platten auch jenseits des Stabilitätsbereichs wasserhaltiger Phasen zurückgehalten wird. Dafür ist die kleine, aber nicht verschwindende Löslichkeit von Wasser in nominal wasserfreien Mineralen wie Granat oder Pyroxen verantwortlich. Schon wenige hundert ppm an gelöstem Wasser in diesen Mineralen führen unter der Annahme heutiger Subduktionsraten zu einem Recycling von einigen Prozent der gesamten Masse aller Ozeane seit dem Proterozoikum. Die Wasserlöslichkeit in Pyroxenen kann Tausende von ppm erreichen, und die Subduktionsgeschwindigkeit war in der früheren Erdgeschichte wahrscheinlich sehr viel höher. Somit ist es möglich, daß tatsächlich ein großer Teil der ursprünglichen Hydrosphäre im Verlauf der Erdgeschichte wieder in den Erdmantel zurückgeführt wurde.
Wegen der möglichen Existenz eines globalen Wasserkreislaufes ist das Verständnis der Eigenschaften wasserhaltiger Fluide unter extremen Drücken und Temperaturen wichtiger denn je zuvor. Zu diesen Fluiden gehören wässerige Salzlösungen als auch wasserhaltige Silikat- und Karbonatitschmelzen. Ein Studium der Fluideigenschaften bei hohem P und T erfordert in-situ-Beobachtungen von Phasengleichgewichten und spektroskopische Messungen. Die Technologie für derartige Bestimmungen unter den P,T-Bedingungen des oberen Erdmantels wurde erst vor kurzem entwickelt und basiert im wesentlichen auf extern beheizten Diamantstempel-Zellen.
3.6 Physikalische und chemische Eigenschaften von Schmelzen
Zahlreiche laufende Projekte am Geoinstitut haben eine Verbesserung unseres Verständnisses der Physik und Chemie silikatischer Schmelzen zum Ziel. In vorangegangenen Jahren zielten die Anstrengungen auf weiter gefaßte Themenbereiche bzw. waren auf einfachere chemische Systeme begrenzt. Nun jedoch, nachdem man sich mehr und mehr grundlegenden Problemstellungen zugewandt hat, haben wir uns auf einige spannende, noch offene Fragen auf dem Gebiet magmatischer Systeme verlegt.
Ein großer Teil dieser Fragestellungen läßt sich durch Viskositätsbestimmungen in Silikatschmelzen näher klären. Viskosität ist nämlich über einen weiten Bereich, der mehrere Größenordnungen überschreitet, meßbar. Sie reagiert bereits auf kleine Änderungen der Temperatur sowie der chemischen Zusammensetzung extrem empfindlich. Das läßt die Viskosimetrie zu einem idealen Werkzeug werden, um die Einflüsse gelöster leichtflüchtiger Bestandteile in Schmelzen zu untersuchen. Gravierende Änderungen in der Viskosität werden schon bei geringster Zugabe (im Spurenbereich) von leichtflüchtigen Komponenten wie Wasser beobachtet, während die Zugabe von Chlor kaum Effekte hervorruft. In polymerisierten Schmelzen, die frei von leichtflüchtigen Komponenten sind, trugen Viskositätsmessungen sogar zu einem besseren Verständnis der Schmelzstruktur bei. Wir müssen jetzt die Bedeutung der als "Tricluster" bekannten Struktureinheiten verstehen, zusätzlich zu den Species, die wir mit Hilfe brückenbildender und nichtbrückenbildender Sauerstoffe beschreiben.
Neue Möglichkeiten zeichnen sich durch die Erweiterung der experimentellen Grenzen ab. Über die Elementverteilung zwischen nicht mischbaren Schmelzen gaben Versuche mit einem neuen Rotationsautoklaven Auskunft. In der Dichtebestimmung an Silikatschmelzen wurde in höhere Temperaturbereiche vorgedrungen, eine wichtiger Fortschritt, um einen größeren Zusammensetzungsbereich von Silikatschmelzen einzubeziehen. Röntgenabsorp-tionsmethoden wie XANES stellen weiterhin wirkungsvolle Hilfsmittel dar, um die strukturellen Einflüsse diverser Kationen in komplexen glasartigen Materialien zu bestimmen. Die Einführung der ELNES-Spektroskopie (Electron Loss Near Edge Structure) unter Verwendung eines Transmissionselektronenmikroskops führt zu ähnlichen Erkenntnissen, die jedoch hier am Institut gewonnen werden können und die eine wesentlich höhere Ortsauflösung erlauben. Die ein- und zweidimensionale NMR-Spektroskopie (Nuclear Magnetic Resonance) erreicht mittlerweile das Niveau der Protonen-NMR der vergangenen Jahrzehnte. Unterschiedliche molekulare Species können identifiziert werden und liefern so Einblicke in die Lösungsmechanismen diverser Elemente in Silikatschmelzen. Einzelheiten dieses und anderer Projekte werden im Kapitel 3.6 vorgestellt.
3.7 Zur Physik magmatischer Systeme
Ein weiteres Forschungsgebiet stellt das physikalische Verhalten magmatischer Systeme dar. Um die Bedeutung des Aufschmelzens für die chemische, mineralogische und physikalische Entwicklung der Erde abzuschätzen, werden Kenntnisse der Planetologie herangezogen. Die alarmierende Häufigkeit explosiver und effusiver Vulkantätigkeit in weiten Teilen der Erde führt zu verstärktem Interesse an diesem Forschungsgebiet. Trotz der Vielzahl der vorhandenen unterschiedlichen physikalischen Charakterisierung von Magmen und ihren Transportphänomenen sind wir von einem befriedigenden Allgemeinmodell zur Physik von Magmen unter Einflüssen des Drucks, der Temperatur und des Spannungsfeldes noch recht weit entfernt.
Die im Kapitel 3.7 folgenden Beiträge behandeln Themen zur Rheologie, zur Festigkeit und zu Zustandsgleichungen von Magmen in Prozessen, die von der Schmelzabscheidung bis zu explosivem Vulkanismus reichen. Insbesondere erkennen wir zunehmend, daß sowohl duktile als auch bruchhafte Prozesse bei der Verformung schmelzhaltiger Systeme beteiligt sind. Am Bayerischen Geoinstitut werden die Vorteile des kombinierten Einsatzes chemischer, mikrostruktureller und physikalischer Methoden zusammen mit einem abgestimmten experimentellen Forschungsprogramm über die Natur magmatischer Prozesse genutzt.
3.8 Methodische Entwicklungen
Die Methodenentwicklung zur Charakterisierung statischer und dynamischer Eigenschaften der Materie unter hohen Drücken und Temperaturen ist eine Voraussetzung, um die Zustände und Prozesse im Erdinneren zu bestimmen, da die mit geophysikalischen Felduntersuchungen direkt gewonnenen Informationen (wie z.B. tiefenabhängige Dichteverteilung, Elastizität, elektrische Leitfähigkeit usw.) nur dann zweifelsfrei interpretiert werden können, wenn die Materialeigenschaften im Labor sehr genau, vorzugsweise unter in-situ-Bedingungen, meßbar sind. Die Verbesserung in Präzision und Genauigkeit bei den Laborbestimmungen und die Erweiterung der erreichbaren Druck-Temperatur-Bedingungen stellen daher eine stete Herausforderung für den experimentell arbeitenden Wissenschaftler dar. Im Abschnitt 3.8 werden neue Verfahren beschrieben, die sowohl auf physikalischem als auch chemisch-analytischem Gebiet Fortschritte der experimentellen Geowissenschaften ermöglichen.